Der Schatten der Avantgarde

Rousseau und die vergessenen Meister
2. Okt. 2015 – 10. Januar 2016

Ein Schatten begleitet die Avantgarden des 20. Jahrhunderts. Dieser Schatten sind die künstlerischen Autodidakten.*

Sie sind Künstler und Künstlerinnen ohne akademische Ausbildung und zumeist ohne Zugang zu den hergebrachten und sich neu formierenden Verbreitungswegen. Ihre Werke jedoch sind in ihrem künstlerischen Anspruch, in ihrem ästhetischen Reichtum und ihrer unmittelbaren Intensität auf Augenhöhe mit den besten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Diese ließen sich von ihren Werken in nicht zu unterschätzender Weise inspirieren, zollten ihnen hohen Respekt oder förderten sie zuweilen sogar. Die Ausstellung stellt 13 von ihnen mit zu kleinen Retrospektiven verdichteten Präsentationen von Hauptwerken vor und entfaltet damit ein Kaleidoskop unterschiedlichster Formen künstlerischer Kreativität.

Dschungel-Bilder und Portraits von Henri Rousseau wurden immer im Zusammenhang mit der Entwicklung der Moderne gesehen und in Ausstellungen wie in Sammlungspräsentationen selbstverständlich inmitten der Werke moderner Meister gezeigt. Anders die beunruhigenden, mit apokalyptischer Ikonografie aufgeladenen Blumenbilder von Séraphine Louis: Waren sie auf der Documenta von 1955 noch vertreten, sind sie heute erst wieder neu zu entdecken. Für die großformatigen Historienbilder von André Bauchant begeisterten sich Künstler wie Le Corbusier und Ozenfant. In ihrer Sprödigkeit erinnern sie an Fresken des Quattrocento. Die Akte und Tierdarstellungen von Morris Hirshfield sind in ihrer Textur kleinteilig wie Mosaiken und waren hoch geschätzt bei den Surrealisten.

Bill Traylor, in Alabama noch in die Sklaverei hineingeboren, schuf erst als über 80-Jähriger seine lebendigen und kompositorisch hoch anspruchsvollen Bilder. Mit den Werken von Miroslav Tichý sind auch Fotografien zu sehen. Der Künstler nahm sie mit selbstgebastelten Kameras auf. Später fügte er zeichnerische Akzentuierungen hinzu und versah sie häufig mit gezeichneten Rahmen. Die Ausstellung macht auch erneut mit Adalbert Trillhaase vertraut. Im Umkreis der Kunsthändlerin Johanna Ey in Düsseldorf schuf er in den 1920er Jahren seine zum Teil drastischen Darstellungen biblischer Motive. Mit Erich Bödeker, einem ehemaligen Bergmann aus Recklinghausen, zeigt die Ausstellung einen der wichtigsten nicht-akademischen Künstler der Nachkriegszeit. Seinen vornehmlich aus Beton frei modellierten, farbigen Skulpturen merkt man vielfältige Anklänge an die Kunst der Zeit an.

Den Werkgruppen dieser Künstler sind Schlüsselwerke aus Moderne und Gegenwartskunst von Honoré Daumier über Paul Gauguin, Paula Modersohn-Becker, Fernand Léger und Pablo Picasso bis Blinky Palermo und Mike Kelley zur Seite gestellt. In der Gegenüberstellung werden Dimensionen dieser Werkkomplexe erschlossen, die das Spektrum der Kunst des 20. Jahrhunderts wesentlich vertieft haben. Es geht dabei darum, ein Phänomen aufzuspüren, das vergleichbar ist mit der Wirkungsgeschichte des Blues und Jazz in der Musik des 20. Jahrhunderts.

*Der Titel „Der Schatten der Avantgarde“ stammt von Veit Loers.