Gespräch mit Yussef Agbo-Ola

REBECCA HERLEMANN (RH), ANTONINA KREZDORN (AK) Im Kontext der Ausstellungsvorbereitungen sind wir auf deine Arbeit aufmerksam geworden. Dein Arbeitsfeld erstreckt sich in Design und Bildende Kunst und scheint Erlebnisse mit allen Sinnen zu stimulieren. Das alles hat unser Interesse an deiner Vision neuer Gemeinschaften geweckt. Was war dein Ansatz, als du die Einladung erhalten hast, eine neue Arbeit für die Ausstellung Wir ist Zukunft. Visionen neuer Gemeinschaften im Museum Folkwang zu entwerfen?

YUSSEF AGBO-OLA (YAO) Als mich die Einladung erreichte, war ich gerade im Amazonas-Regenwald und forschte zu Orchideen und Mikroorganismen im Gebiet des Amazonas. Kurz nachdem ich die Einladung angenommen hatte, sprach ich mit einer Indigenen Medizinfrau über ihre Rolle in ihrer Gemeinschaft hinsichtlich der Verantwortung gegenüber den Menschen wie gegenüber den nicht-menschlichen Spezies in ihrer Umgebung. Diese Stammesältesten haben eine einzigartige Gabe dafür, in der Kommunikation mit nicht-menschlichen Spezies zu vermitteln, um dann wiederum den Menschen in ihren [eigenen] Gemeinschaften zu helfen oder mit ihnen zu kommunizieren. Der Pfeilgiftfrosch war für eine Stammesälteste das bevorzugte Medium, wenn sie mit den schwangeren Frauen in ihrer Gemeinschaft arbeitete. In geringen Dosen eignet sich das Gift des Froschs als Schmerzmittel. Dieser Wissensaustausch war der Ausgangspunkt der Inspiration zu dem Tempel.

RH, AK Um auf diesen „Umweltsystemen der Entropie“, wie Du sie nennst, aufzubauen, welches sind die Materialien, für die du dich entscheidest, und wie setzt du sie ein? 

YAO Olaniyi Studios Leitbild ist es, in sämtlichen produzierten Arbeiten natürliche und recycelte Materialien zu verwenden. In der Vergangenheit haben wir häufig Zellulosefasern benutzt, und aufgrund ihrer chemischen Eigenschaften und der Zwirnstruktur können die Fäden härter als Stahl sein. Das ist von großem Interesse, denn in der Natur gibt es seit jeher Fasern und Geometrien, die äußerst stabil und widerstandsfähig sind. Diese Materialien erlauben jedoch darüber hinaus eine innere strukturelle Flexibilität, sind mitunter als Nahrungsmittel geeignet und passen sich den Erfordernissen oder Veränderungen der jeweiligen Umgebung an. Von meiner eigenen Abstammung aus den Indigenen Ethnien der Yoruba und Cherokee her habe ich ein profundes Verständnis dafür, dass alle Materialien eine lebendige Energie in sich tragen und dass Materie selbst ein tiefreichendes Gedächtnis und Heiligkeit besitzt. Das heißt, dass so etwas wie Abfall überhaupt nicht existiert und dass Wiederverwendung und Recycling lediglich eine tiefere Bedeutung in den Eigenschaften des Materials verankern. Das Ziel der Materialwahl besteht darin, einen Tempel zu schaffen, der atmen kann und eine Durchlässigkeit aufweist, die neuem Leben in Form von Pflanzen oder anderen Organismen ermöglicht, ihn zu verzehren oder zu bewohnen. Damit lässt er ein neues Mikroklima entstehen und letztlich ein neues Ökosystem.

RH, AK Wozu du aufforderst, ist, dass sich die Leute die Zeit nehmen, ihre eigene Position zur Natur – im Kreislauf von Leben und Tod – zu reflektieren. Sich auf die natürlichen Prozesse und den Einfluss der Menschheit einzulassen, bildet den Kern deines Gesamtwerks. Wie siehst du Oriji: 12 Stone Frog Temple im Kontext der Ausstellung Wir ist Zukunft? Welche Ideen hast du für ein zukünftiges, besseres Leben?

YAO Oft wird die Welt des Mikroskopischen beziehungsweise der unsichtbaren Elemente einer Umgebung aufgrund der Komplexität der unterschiedlichen Maßstäbe übersehen. Die Auffassung, dass Menschen über die Umwelt herrschen, erzeugt Herrschaftsperspektiven in Gemeinschaften. Dieser Spannung versucht der Tempel entgegenzuwirken, indem er kleine, zerbrechliche, empfindliche Systeme und Organismen, mit denen wir eine Verbindung haben, in den Vordergrund rückt, insbesondere die bedrohten Spezies im Amazonas-Regenwald, die eine große Rolle dabei spielen, dass wir Sauerstoff zum Atmen haben. Der Tempel schließt an das Thema neuer Gemeinschaften an, indem er einen heiligen Versammlungsort für die Kontemplation der Umwelt in der Gebärmutter eines schwangeren Pfeilgiftfrosches schafft. Diese Spezies ist Teil einer Gemeinschaft von Amphibien, die dramatisch von Umweltverschmutzung und der Rodung des Regenwalds betroffen ist. Wenn wir über lebendige Architektur verfügen, welche die Funktion eines kontemplativen Raums erfüllt, in dem wir ihre Rolle für unsere Existenz erfassen, bedenken und ehren können, so schaffen wir eine neue kollektive mentale Ökologie, die Menschen wie Nicht-Menschen eine mehr in der Umwelt geerdete Zukunft ermöglicht. Dieser Prozess fungiert als Katalysator für florierende neue Gemeinschaften.