Wir ist Zukunft: Museum Folkwang widmet künstlerischen Visionen vom Zusammenleben eine umfangreiche Themenausstellung

 

Vom 24. November 2023 bis 17. März 2024 präsentiert das Museum Folkwang die Ausstellung Wir ist Zukunft. Visionen neuer Gemeinschaften. Die Schau zeigt rund 160 Werke aus 120 Jahren künstlerischer Reflexion über ein ideales Zusammenleben. Ausgehend von der Lebensreformbewegung um 1900 führt die Ausstellung über Bruno Tauts Alpine Architektur, Constants New Babylon oder Anna Halprins Planetary Dance zu Werken der Gegenwartskunst.

Die Bedrohung unserer Lebensräume prägt unsere Gegenwart. Immer drängender werden Forderungen nach grundlegenden Veränderungen. Welche neuen Formen des Zusammenlebens sind vorstellbar? Ausgehend von diesen Fragestellungen untersucht die Ausstellung Wir ist Zukunft. Visionen neuer Gemeinschaften historische und aktuelle künstlerische Ideen für alternative Formen des Zusammenlebens. Jedes Kapitel der Schau markiert dabei einen historischen Umbruch. Mit einer Vielzahl von Medien wie Malerei, Skulptur, Grafik, Video und Performance gipfelt die Präsentation in einer eigens für die Ausstellung geschaffenen tempelartigen Installation des Architekten und Künstlers Yussef Agbo-Ola [Olaniyi Studio].

Wir ist Zukunft beginnt im ausgehenden 19. Jahrhundert, als sich die negativen Folgen der Industrialisierung und Verstädterung bereits deutlich abzeichnen. Gegenbewegungen und Alternativen lassen nicht lange auf sich warten. Die Sehnsucht nach den irdischen Paradiesen skizziert das erste Kapitel der Ausstellung mit einem monumentalen Wandfries (1888–1892) von Karl Wilhelm Diefenbach, der einen freudvollen Verbund von Mensch und Tier und verschiedenen Religionen darstellt. Auch Gusto Gräser und Ludwig von Hofmann treibt die Hoffnung auf ein freies Leben in Harmonie mit der Natur. Gemälde wie Hofmanns Das verlorene Paradies (Adam und Eva) (1893) stehen für die verlorene Einheit zwischen Mensch und Natur und werfen zugleich die Frage auf, wie sich der ersehnte ideale Zustand wiederfinden lässt. Elisàr von Kupffer entwirft gleich eine neue Religion. Wie es in der sogenannten Klarwelt der Seligen aussehen könnte, zeigt er auf seinen homoerotischen Gemälden.

Aus den noch neuen Materialien Stahl und Glas entwerfen Bruno Taut und Wenzel Hablik Architekturen, deren Formen sich am Kristall orientieren. Als Symbol für das neue Zeitalter fordern sie nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs in Entwürfen kristalliner Architektur ein neues Bauen für eine neue Gesellschaft. Weithin sichtbare Gebäude sollten die Zusammengehörigkeit der Gemeinschaft stärken und eine friedliche, lebenswertere Gesellschaft herbeiführen. Für dauerhaften Frieden in Europa schlägt Taut zudem in der Mappe Alpine Architektur (1917/18) eine gemeinsame Überbauung der Alpen durch die Menschen der angrenzenden Länder vor. Im Gründer des Museum Folkwang, Karl Ernst Osthaus, findet er einen langjährigen Unterstützer. Osthaus veröffentlicht Tauts Zeichnungen 1920 im Folkwang Verlag und engagiert ihn für die Architektur von seines Herzensprojekt, einer Reformschule, mit der sie nicht weniger als das Zusammenleben und die Gesellschaft verbessern wollten.

Ein eigenes Kapitel widmet sich dem Werkkomplex New Babylon von Constant. Der niederländische Künstler entwirft von 1956 bis 1974 in zahlreichen Gemälden, Zeichnungen und Modellen eine neue modulare und flexible Lebenswelt. Hier baut sich der spielende Mensch (Homo ludens) seine eigene Umgebung für eine neue Gesellschaft selbst. Jede:r schafft sich darin die gewünschte klimatische und soziale Situation und bewegt sich als Teil einer „kollektiven Kreativität“ durch die labyrinthischen Sektoren. Nach und nach sollte sich New Babylon über den ganzen Erdball verbreiten und die Menschen aller Kontinente zusammenführen.

Weiter erzählt Wir ist Zukunft vom Hippie-Modernismus der 1960er und 1970er Jahre und seinen Folgen. Der italienischen Design- und Architekturgruppe Superstudio schwebt zu Beginn der 1970er Jahre eine erdumspannende Megastruktur vor, auf der die Menschen nomadisch leben, ohne Gegenstände, ohne Arbeit, ohne Hierarchien, ohne Konsum, aber voller Kommunikation, Information und freier Entfaltung. In Anna Halprins bis heute immer wieder aufgeführtem Planetary Dance geht es ab 1980 um eine Neuverbindung mit der Natur und die Erneuerung der Gemeinschaft durch eine körperliche und geistige Gruppenerfahrung im Hier und Jetzt. Die Visionen der Künstler:innen werden in Entwürfen, Collagen und Filmen in den Ausstellungsraum gebracht.

Das abschließende Kapitel der Ausstellung zeigt zeitgenössische Werke von Eglė Budvytytė, Emma Talbot und Timur Si-Qin. Ihre aktuellen Arbeiten thematisieren eine neue Verbindung mit der Natur und allen Lebewesen und konfrontieren die historischen Positionen mit Fragen der Gegenwart. Eglė Budvytytės Film Songs from the Compost: Mutating Bodies, Imploding Stars (2020) folgt einer im Wald lebenden Gruppe, die bereits neue Formen der Symbiose mit der Natur eingegangen ist, besiedelt ist von Flechten und Pilzen und eine krebsartige Fortbewegung entwickelt hat. Timur Si-Qin hingegen geht es in seinem Werkkomplex New Peace seit 2016 um eine Balance und Kollaboration von Natur und Mensch, die eine neue, geheimnisvolle Spiritualität ermöglichen soll. Räumlich wie inhaltlich laufen die Fäden der Ausstellung in Oriji: 12 Stone Frog Temple von Yussef Agbo-Ola zusammen, einer Neuproduktion für das Museum Folkwang. Inspiriert von dem vom Aussterben bedrohten Pfeilgiftfrosch schärft der raumgreifende Tempel den Blick selbst für die kleinsten Lebewesen der Ökosysteme, die die Welt in der Balance halten, und lädt zu einer sinnlichen Erfahrung ein. Das Wort Oriji bedeutet in Agbo-Olas Muttersprache Yoruba „Vergebung“ und ist ein Ausdruck seines persönlichen Mitgefühls für die Tierart und seine Reue gegenüber den globalen Zusammenhängen. Das Streben nach einer idealen Gemeinschaft, die es (noch) nicht gibt oder die es nicht mehr gibt, ist das verbindende Element und die Antriebsfeder der ausgestellten Werke.

Die Ausstellung wird ermöglicht durch die RAG-Stiftung als Hauptförderer sowie E.ON als Hauptsponsor. Sie wird gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und dem Folkwang-Museumsverein e.V.

Dokumente

Ludwig von Hofmann
Das verlorene Paradies (Adam und Eva), 1893
Öl auf Leinwand, 130 × 195 cm 
Hessisches Landesmuseum Darmstadt
Foto: Linda Breidert
 

Media
Ludwig von Hofmann, Das verlorene Paradies (Adam und Eva), 1893

Ludwig von Hofmann
Das verlorene Paradies (Adam und Eva), 1893
Hessisches Landesmuseum Darmstadt
Foto: Linda Breidert